Predigt zum Quasimodogeniti
11. April 2021JUNGSCHAR – WAS WAR LOS?
6. Dezember 2021Predigt zu Lied Nr. 8 „Es kommt ein Schiff geladen“
Liebe Gemeinde,
heute ist der erste Adventsonntag und ich möchte uns mit einem alten Weihnachtslied auf diese kommende Zeit einstimmen. Es ist das Lied „Es kommt ein Schiff geladen“, das die Schifffahrt mit dem Advent verbindet. Es gehört zu den ältesten geistlichen Gesängen in unserer Sprache. Vielleicht ist es auch das merkwürdigste Lied in unserem Gesangbuch und ich hoffe, wir können ihm einige Geheimnisse entlocken. Ausgegraben hat dieses alte Lied der Schulvorsteher Daniel Sudermann (1550 – 1631). Er war ein Schwärmer und hatte deshalb mit der Kirchenleitung immer wieder Probleme. Er war ein Büchernarr und stöberte nächtelang in alten Schriften, denn er suchte in den Schriften der alten Mystiker den Weg zu Christus. Besonders angetan hatte es ihm Johannes Tauler, ein Prediger, Mystiker und Mönch des 14. Jahrhunderts. Er lebte von 1300 bis 1361, war schon mit 15 Jahren in den Dominikanerorden eingetreten, hatte 8 Jahre Theologie und Philosophie studiert. Taulers Predigten wurden später auch von Martin Luther wegen der gründlichen und reinen Lehre geschätzt.
Und jetzt war es Daniel Sudermann, der sich in die Schriften Taulers vertiefte und dort 1626 das alte Marienlied fand, das vielleicht ursprünglich ein altes Schifffahrtslied war. Für Tauler waren alle Weltdinge ein Gleichnis für das Ewige, ähnlich wie es Jesus auch in seinen Gleichnissen tat. Vielleicht muss man es aber umgekehrt sehen, nämlich dass sich im Irdisch-Sichtbaren auch immer das Himmlisch-Unsichtbare ausdrückt, denn das Sichtbare ist aus dem Unsichtbaren hervorgegangen. Jedenfalls wurde das Schiff für Tauler zum Gleichnis für Maria.
Das Lied ging dann wieder verloren und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts wieder entdeckt. Ich möchte versuchen, dass wir gemeinsam diesen Bildern nachspüren und uns in seinen Inhalt vertiefen. Versetzen wir uns in eine Zeit zurück, wo große Schiffe für den Warenverkehr eingesetzt wurden, wo alles einem Abenteuer gleichkam, weil die Gefahren auf See immer Schiff, Mannschaft und Ladung bedrohten.
Es kommt ein Schiff. An seine Ankunft sind Sehnsüchte geknüpft. An Bord ist lang erwartete Fracht. Sättigendes Getreide, kostbare Gewürze, edle Hölzer. Briefe mit Nachrichten von fernen Angehörigen. Die Besatzung. Der Freund, der zur See fährt, der Geliebte, der Ehemann. Das Schiff verbindet, was getrennt war. Es ist zwischen den Welten unterwegs.
Das Schiff ist aber auch ein altes Symbol, das mit Rettung, Leben und Mütterlichkeit in Verbindung gebracht wird. Denken wir nur an die Arche Noah oder an die Sturmgeschichte im Neuen Testament.
Seit alter Zeit ist das Schiff Sinnbild für die Begegnung zweier Welten. Meer und Land, Himmel und Erde, Gott und Mensch. Das Lied lässt mehrere Deutungen zu. Es ist als Marienlied gesungen worden. Maria, die Schwangere, ist wie ein Schiff. Sie trägt eine teure Last. Gott schickt das Allerkostbarste, das Beste, was er hat: Seinen Sohn. Seine Liebeserklärung an uns. Sein ewiges Wort. Was Gott sagt, ist verlässlich. Er sagt nicht nur: Ich habe euch lieb. Er schickt uns einen Menschen. Jesus. Den Freund, der mit ausschreitet auf unserem Weg.
Singen wir die ersten beiden Strophen.
In dem Schiff haben die Christen auch ein Bild für die Kirche gesehen. Für das Gebäude, in dem wir zusammenkommen. Und für die Gemeinde, die mit Jesus unterwegs ist. Aber auch die Seele jedes einzelnen Christen können wir als Schiff betrachten. Ruhig treibt es dahin. Wenn der Wind stark bläst, wird es schneller. Liebe ist das Segel. Sie fängt die Windkraft auf, damit wir Fahrt gewinnen. Die Liebe hält unser Lebensschiff in Gang. Liebe ist Bewegung, äußerlich und im Innern. Wir gehen auf den andern zu und mit ihm mit. Wir wollen wissen, was ihn bewegt, mit ihm lachen und trauern, wütend sein und hoffen, wandern und ausruhen.
Also, das Schiff ist bis an den Rand gefüllt mit Gottes Heil. Es bringt den Gottessohn mit der Fülle seiner Gnade zu den Menschen. Das Schiff, im Text ist es Maria. Sie trägt den Sohn, bringt ihn an Land, bringt ihn zur Welt und ist dabei bewegt von Gott, von seinem Geist und von seiner Liebe. Wie schreibt Paulus im Galaterbrief (4,4f): „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.“
Das Schiff kommt von außen, von jenseits des Horizonts. Es kommt zu uns. Es bringt die Gottesgabe, die sich kein Mensch selber holen kann, die aber jeder empfangen darf. Darauf kommt es auch im Advent an, dass nämlich die „teure Last“ – „Gottes Sohn voll Gnaden“ bei uns ankommt. Das Schiff ist nur das Transportmittel, es hat dienende Funktion. Darum verherrlichen wir auch Maria nicht, denn Maria ist nur das Gefäß, entscheidend aber ist der Inhalt. Durch Maria kam Jesus zur Welt.
In Strophe zwei heißt es, „das Schiff geht still im Triebe“, es kommt langsam näher, denn der Weg braucht Zeit, die uns Gott gewährt. Lange schon wurde die Geburt von Jesus durch die Propheten angekündigt. Dann kommt die Ankündigung durch den Engel, die Zeugung durch den Geist Gottes und dann nach 9 Monaten Schwangerschaft wird das Kind schließlich geboren.
Auch bis Jesus bei uns ankommt und wir wiedergeboren werden braucht es Zeit. Es dauert eine Weile, bis sichtbar werden kann, was uns Gottes Geist schenkt.
Dabei ist Stille notwendig, denn wer den Lärm sucht, der rennt vor Gott davon. Advent und Stille gehörten ursprünglich zusammen. Ein altes Weihnachtslied besingt diese Zeit: „Das ist die stillste Zeit im Jahr“, aber was ist daraus geworden. Heute regieren Hektik und bunte Lichter den Advent, die Verkaufszahlen müssen hinaufschnellen und die Geschäfte florieren im Weihnachtsgeschäft.
Weiters heißt es im Lied: „Das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.“ Ja, damals fuhren Schiffe nicht ohne Segel. Im Segel war die Kraft und der Mast übertrug sie auf das ganze Schiff. Gottes Liebe ist die Kraft, die ihn dazu bewegte, uns Jesus zu schicken und ohne Gottes Geist kam das, was bei Gott ist, nicht zu Maria.
Singen wir Strophe 3 und 4:
Das Schiff hat fest gemacht. Der Anker haft‘ auf Erden, heißt es im Lied. Ist das auch bei uns verankert? Die Nöte und das Unheil sind moderner geworden und vieles ist anders als im 14. Jahrhundert bei Johannes Tauler oder im 17. Jahrhundert bei Daniel Sudermann. Aber gleich geblieben ist, dass die Welt nichts dringender braucht als die verloren gegangene Nähe Gottes. Zwei Welten verbindet das Schiff: Himmel und Erde. Gott wirft Anker in unserer Welt. Er macht bei uns fest. Macht unser Herz fest, damit wir nicht untergehen, auch wenn die Wellen sich meterhoch auftürmen.
In Strophe 4 wird die Weihnachtsgeschichte erzählt. Gottes Sohn vertauscht seine Erhabenheit und Macht mit dem Ausgeliefertsein kindlicher Wehrlosigkeit. In Bethlehem berühren sich Himmel und Erde, Höhe und Tiefe, die Verlorenheit der Menschen und die Rettung durch Gott. Ein Kind gibt sich verloren, damit die Menschheit gefunden werden kann. Und wer das erfasst, der muss Gott loben und danken. Bei wem etwas vom Himmel angekommen ist, der stimmt ein in den Lobgesang des Himmels.
Gottes Wort, das alles ins Leben gerufen hat – dieses Wort ist selber Mensch geworden. Von Maria geboren. In Windeln gewickelt. In einem Stall untergebracht. Aber das ist kein niedliches Bild. Das Kind umarmen heißt nicht das Leiden ausblenden. Das Kind ist auf der Durchreise mit seinen Eltern und bald muss es flüchten. Immer wird es den Verlorenen nahe sein, die noch keinen Ankerplatz gefunden haben, keinen geliebten Menschen, kein Vertrauen zu sich selber und auch keins zu Gott. Gerade zu ihnen sendet Gott seinen Sohn.
Singen wir Strophe 5 und 6:
Hier geht es darum, wie wir mit Christus ganz eins werden können. Das ist das höchste Ziel und die Strophe 5 drückt das ganz plastisch aus. Die Jesu-Liebe der Mystik wirkt fast erotisch, denn die ursprüngliche Fassung des Liedes hieß: „Und wer dies Kind will küssen, auf seinen roten Mund, der empfängt groß Freude von ihm zur selben Stund.“ Daniel Sudermann hat diese Strophe umgeändert in: „Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will“. Bleiben wir hier beim halben Vers stehen. Ja, wir dürfen Gott auch mit unseren Gefühlen und Emotionen lieben. Aber kann man so mir nichts dir nichts mit Christus eins werden? Davor steht der zweite Teil des Verses: „muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel.“ Hat nicht auch Paulus das immer und immer wieder betont und selber gelebt?
Weiter geht es in Strophe 6 mit der Fortsetzung nach dem Leid. „danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.“. Das Heil, unsere Rettung ist nicht billig. Es war auch nicht billig für Jesus. Ein Christ muss immer wieder auch menschliche Sterbenswege gehen, diesen Prozess müssen wir durchmachen. Weihnachten ohne Karfreitag und Ostern führt nicht zum Ziel.
Das Ziel, weshalb Jesus gekommen ist, sind wir. Wir sind eingeladen, die Sendung des Vaters zu empfangen und Jesus in uns wirken zu lassen. Und so können wir vielleicht auch bildlich gesprochen zu einem Schiff werden, das vom Heiligen Geist bewegt wird und anderen Jesus bringt. Der Kurs, den unser Lebensschiff nimmt, ist nicht für immer festgelegt. Wir können Jesus mit ins Boot nehmen. Das schützt uns nicht vor den Stürmen, aber es hilft uns, sie durchzustehen. Wenn wir Jesus an Bord haben, sind wir versorgt.
Dieses Lied, das wir in Abschnitten gesungen haben, erzählt von Weihnachten, aber es verschweigt das Kreuz nicht, denn gerade im Leiden zeigt sich, dass der Glaube trägt. Im Singen wird es gegenwärtig: Es kommt ein Schiff, es bringt Gottes Sohn, sein lebendiges Wort für uns. Wir öffnen unsere Herzen für Gottes Gegenwart, für die anderen, die mit uns hier sind und für uns selbst. Das ist der Vorgeschmack der Herrlichkeit, die uns im Hafen erwartet. Amen.
Lektorin Gertrud Time