Trostlieder: Lieder und Gedichte, die zu trösten vermögen
17. März 2021Predigt zum Quasimodogeniti
11. April 2021Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Das Singen im Gottesdienst fehlt mir sehr. Zu Ostern gehören doch Lieder! „Christ ist erstanden“, „Wir wollen alle fröhlich sein“, „Mit Freuden zart zu dieser Fahrt“, „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“… Die Lieder wecken die Osterfreude. Der Freude ist es egal, wie alt oder neu ein Lied ist, Hauptsache es ist gut und geht ins Herz. Ein Lied ist mir in diesen Tagen besonders wichtig geworden, vielleicht gerade deshalb, weil es eines ist, dass nicht nur strahlt und glänzt, sondern sehr geerdet ist in den Nöten der Zeit. Wenn Ihr wollt, dann singt die Strophen eine nach der andern, während Ihr den Brief lest. Vielleicht bringt es den lieben Gott zum Lächeln vor Entzücken an den singenden Evangelischen, jede und jeder am eigenen Ort und zur eigenen Zeit, aber doch in dem Singen verbunden untereinander in einem Lied von Ostern.
Jesus lebt, mit ihm auch ich!
Tod, wo sind nun deine Schrecken?
Er, er lebt und wird auch mich
von den Toten auferwecken.
Er verklärt mich in sein Licht;
dies ist meine Zuversicht.
Es ist Nummer 115 im Gesangbuch, von Christian Fürchtegott Gellert. Dieses Lied begleitet mich schon die ganze Passionszeit hindurch. Und hier ist, wie ein Fanal, die erste Strophe. „Er, er lebt und wird auch mich von den Toten auferwecken“ – das barocke Wort von Gellert trifft uns heute in der Corona-Müdigkeit. Ja, Licht tut not und Klarheit. Wie gut wäre es, wieder besser in die Zukunft schauen zu können und mehr planen zu können. Wie gut wäre es, nicht mehr mit angezogener Handbremse zu fahren. Ich sehe, wie Ihr, liebe Brüder und liebe Schwestern, mit Beharrlichkeit Euren Dienst tut; und ich sehe auch, wie viel Kraft es braucht, unter den Bedingungen der Pandemie den Mut zu bewahren.
Jesus lebt, mit ihm auch wir; Jesus lebt, mit ihm auch seine Kirche. Die Kirche lebt nicht aus sich selbst heraus. Sie lebt nicht aus der Kraft der Getauften, sie lebt nicht aus der Kraft ihrer Amtsträgerinnen und Amtsträger. Sondern wir leben und die Kirche lebt, weil Jesus auferstanden ist, weil er dem Tod, der den Lauf der Welt strukturiert, den Schrecken genommen hat.
Jesus lebt! Ihm ist das Reich
über alle Welt gegeben;
mit ihm werd auch ich zugleich
ewig herrschen, ewig leben.
Gott erfüllt, was er verspricht:
dies ist meine Zuversicht.
Dass wir zugleich mit Jesus über alle Welt herrschen würden, geht heute nicht mehr so leicht von den Lippen, wie es Christian Fürchtegott Gellert formuliert. Ist Jesus denn ein Machtherrscher? Ich schaue genauer hin und möchte sagen: Jesus ist es, der hier herrscht – also folgt seine Herrschaft dem, wie Jesus ist, wer Jesus ist. Die Herrschaft Christi ist sanft, er regiert ohne Gewalt und Macht, voll Gnade und Liebe. Das gibt uns den Auftrag und die Richtung. Es stellt uns als Miterben im Reich Gottes und als Hausgenossinnen Gottes in eine große Verantwortung: In die Verantwortung den Menschen gegenüber, aber auch den Tieren und Pflanzen gegenüber, die alle im Bund Gottes eingeschlossen sind und unter Gottes Segen stehen. Die Kirche lebt und trägt Verantwortung in der Welt. Sie lebt diese Verantwortung im Leben der Gemeinde, der Diakonie, der Seelsorge und Bildung.
Jesus lebt! Wer nun verzagt,
lästert ihn und Gottes Ehre.
Gnade hat er zugesagt,
dass der Sünder sich bekehre.
Gott verstößt in Christus nicht;
dies ist meine Zuversicht.
Gnade hat er zugesagt, das ist die Mitte der dritten Strophe, auch wenn sie einen strengen Ton anschlägt. Es erinnert mich an Luthers Wort an Philipp Melanchthon – „sündige nur tapfer“, „pecca fortiter“. Zaghaftigkeit, Halbherzigkeit und Misstrauen sind die wahren Gegenkräfte des zuversichtlichen Gottvertrauens. „Jesus lebt! Wer nun verzagt, lästert ihn und Gottes Ehre.“ Das sei uns eine Mahnung. Wer alles den Bach hinunter gehen sieht, wer die Kirche am Ende sieht, sie nur mehr ihr letzten Schritte im Jammertal der Säkularisierung machen sieht, der lästert Gott. Gnade ist uns zugesagt. Die Kirche hat keinen Grund, zu jammern, denn Christus ist unsere Zuversicht. – Und ich schaue mich um und ich sehe Zuversicht und Beharrlichkeit in unserer Kirche. Ich sehe die vielen (digitalen und analogen) Initiativen, mit denen das Gemeindeleben in dem schwierigen vergangenen Jahr seit dem ersten „Corona-Ostern“ gehegt und gepflegt wurde – von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, in Kirchenmusik, Religionsunterricht, Jugendarbeit, Seelsorge, IT-Engagement, Umweltengagement – um nur einige zu nennen. Ich sehe das Ringen mit der Verzagtheit und kenne es selbst. Aber ich sehe auch die Zuversicht, die sich nicht lange bitten lässt, die sich gern herbeisingen lässt. Also lasst uns die vierte Strophe singen:
Jesus lebt! Sein Heil ist mein,
sein sei auch mein ganzes Leben;
reines Herzens will ich sein,
bösen Lüsten widerstreben.
Er verlässt den Schwachen nicht;
dies ist meine Zuversicht.
Gnade ist den Schwachen zugesagt. Gellert hielt in Leipzig Vorlesungen über Moralphilosophie und Sittenlehre: Die Ethik lag ihm am Herzen. Auch in seinem Osterlied kann er es nicht lassen und spricht in den beiden mittleren Strophen die Lebensführung der Christinnen und Christen an. Es geht um die Nächsten, um die Nächstenliebe. Das reine Herz genießt sich nicht selbst, sondern dient den Nächsten. Jesus lebt nicht für sich selbst, sondern: Jesus lebt, damit auch wir leben mögen. Am Leben Jesu Anteil zu haben, das heißt herausgefordert sein, unsere Nächsten so zu behandeln, wie auch wir behandelt werden möchten, ihnen die Rechte, die auch wir für uns gerne beanspruchen wollen, ebenso zuzugestehen. Denn in unseren Nächsten kommt uns Jesus entgegen, voll Leben und Zuversicht. Das zu erkennen und danach zu handeln, gelingt nicht immer. Aber – Gellerts vierte Strophe trumpft auf: „Gott verlässt den Schwachen nicht; das ist meine Zuversicht“.
Jesus lebt! Ich bin gewiss,
nichts soll mich von Jesus scheiden,
keine Macht der Finsternis,
keine Herrlichkeit, kein Leiden.
Seine Treue wanket nicht;
dies ist meine Zuversicht.
Die Mächte der Finsternis zerren an uns. Sie heißen: Kirchenaustritte, schwindendes Kirchenbeitragsaufkommen, Pfarrer*innenmangel und damit verbunden mehr und mehr Arbeit für diejenigen, die im geistlichen Amt arbeiten, und so auch Gefühle von Müdigkeit und Vergeblichkeit. Aber – Gottes Treue ist das feste Fundament all unserer Bemühungen um die Kirche und um unsere Pfarrgemeinden. „Seine Treue wanket nicht; dies ist meine Zuversicht.“
Die Evangelische Kirche möchte aus dieser Zuversicht leben, das heißt, sie möchte aus dem Evangelium leben. „Aus dem Evangelium leben“ – so heißt auch der Prozess, vor dem wir gerade stehen, der uns helfen soll, die Organisationsform unserer Kirche zukunftsfähig zu gestalten und weiterzuentwickeln. Die Gemeinden werden eingeladen, initiativ zu werden, neue Ideen zu entwickeln, sie in Erprobungsräumen auszuprobieren, und sie werden dabei von der gesamten Kirche unterstützt werden.
Jesus lebt! Nun ist der Tod
mir der Eingang in das Leben.
Welchen Trost in Todesnot
wird er meiner Seele geben,
wenn sie gläubig zu ihm spricht:
„Herr, Herr, meine Zuversicht!“
Jesus lebt – das ist die Botschaft von Ostern. Liebe Brüder und liebe Schwestern, Jahr für Jahr, Ostern für Ostern geben wir sie weiter. Jahr für Jahr, Ostern für Ostern wird sie aber auch uns gegeben. Auch zu diesem zweiten Corona-Ostern lautet die Botschaft: „Jesus lebt, mit ihm auch wir!“. Das ist unsere Zuversicht.
Bleibt behütet
Ihr/Euer Bischof Michael Chalupka
Mag. Michael Chalupka